Bäume in Texten


 

Ich betrachte einen Baum

 

Ich kann ihn als Bild aufnehmen: starrender Pfeiler im Anprall des Lichts,

oder das spritzende Gegrün von der Sanftmut des blauen Grundsilbers durchflossen.

Ich kann ihn als Bewegung verspüren: das flutende Geäder am haftenden und strebenden Kern,

Saugen der Wurzeln, Atmen der Blätter, unendlicher Verkehr mit Erde und Luft –

und das dunkle Wachsen selber. 

Ich kann ihn einer Gattung einreihen und als Exemplar beobachten, auf Bau und Lebensweise.

Ich kann seine Diesmaligkeit und Geformtheit so hart überwinden,

dass ich ihn nur noch als Ausdruck des Gesetzes erkenne –

der Gesetze, nach denen die Stoffe sich mischen und entmischen.

Ich kann ihn zur Zahl, zum reinen Zahlenverhältnis verflüchtigen und verewigen.

In all dem bleibt der Baum mein Gegenstand....

Es kann aber auch geschehen, aus Willen und Gnade in einem, dass ich, den Baum betrachtend,

in die Beziehung zu ihm eingefasst werde, und nun ist er kein Es mehr...

Vielmehr ist alles, Bild und Bewegung, Gattung und Exemplar, Gesetz und Zahl,

mit darin, ununterscheidbar vereinigt. Alles, was dem Baum zugehört,

ist mit darin, seine Form und seine Mechanik, seine Farben und seine Chemie,

seine Unterredung mit den Elementen und seine Unterredung mit den Gestirnen,

und alles in einer Ganzheit... Er hat mit mir zu schaffen, wie ich mit ihm – nur anders... 

Beziehung ist Gegenseitigkeit. So hätte er denn ein Bewusstsein. der Baum, dem unsern ähnlich?

Ich erfahre es nicht. 

Aber wollt ihr wieder, weil es euch an euch geglückt scheint, das Unzerlegbare zerlegen?

Mir begegnet keine Seele des Baums und keine Dryade, sondern er selber. 

 

Martin Buber, Jüdischer Religionsphilosoph, Aus: Das dialogische Prinzip


In ihren Wipfeln rauscht die Welt 

 

In ihren Wipfeln rauscht die Welt, ihre Wurzeln ruhen im Unendlichen;

allein sie verlieren sich nicht darin, sondern erstreben mit aller Kraft ihres Lebens nur das Eine: ihr eigenes, in ihnen wohnendes Gesetz zu erfüllen, ihre eigene Gestalt auszubauen, sich selbst darzustellen.

Nichts ist heiliger, nichts vorbildlicher als ein schöner, starker Baum

 

Hermann Hesse, Schriftsteller, Maler, Nobelpreisträger 


 

Bitte des Baumes

 

Höre mich, Mensch, ehe du gleichgültig Hand an

mich legst:

Ich spende Wärme für dein Heim in langen

kalten Winternächten und kühlen

Schatten vor der Glut der Sommersonne.

Meine Früchte stillen deinen Hunger

und deinen Durst.

Ich diene dir als Gebälk deines Hauses,

als Tisch, an dem du sitzt und als Bett

in dem du erquickenden Schlaf findest.

Von mir stammt das Holz deiner Haustür

und der Stiel deiner Haue.

Ich bin das Holz deiner Wiege,

und als Brett deines Sarges begleite ich

dich zurück in den Schoß der Erde.

Ich schütze deine Felder

und wahre die Schönheit deiner Heimat.

Achte mich doch, wie ich es verdiene, und

schütze mich vor böswilliger Zerstörung!

Schenke mir deine Liebe – denn ich bin

der Baum!

 

Gabriela Mistral (Lucila Godoy Alcayaga)


Baumgedicht an den Menschen

 

Ich bin das Blatt, auf dem du schreibst. Die Zeitung, die du jeden Morgen aufschlägst. Das Buch, das du in einer Nacht verschlingst. Die Post, die du öffnest oder verdrängst. Das Paket, das du abholst und verschickst. Der Karton, der in deine Wunsch-Wohnung umzieht.

Ich bin der Stoff, der dein Haus vor Kälte schützt. Der Stuhl, auf dem du sitzt. Der Tisch an dem du isst, arbeitest, mit Familie und Freunden lachst. Der Boden, auf dem du dich bewegst. Die Treppe, die du auf und ab rennst. Die Tür, die du durchschreitest. Das Bett, in dem du schläfst, träumst, erwachst.

Ich bin das Regal, das deine Bücher ordnet. Der Rahmen, der deine Bilder umgibt. Die Leisten, die deine Wände dekorieren. Der Bügel, auf dem deine Kleider hängen. Die Laube, die am Ende deines Gartens liegt. Der Zaun, der dich stets vor fremden Blicken schützt.

Ich bin die Brücke, die du baust, überquerst, vielleicht verbrennst. Die Schwellen, die deine Gleise befestigen. Das Interieur, das dein Auto veredelt. Die Schranke, die du respektierst. Die Schanze, über die du fliegst. Das Fass, das deinen Wein natürlich reifen lässt.

Ich bin das Werkzeug, mit dem du Dinge erschaffst. Das Rad, das deine Mühlen antreibt. Das Gerüst, das dich trägt. Der Ring, den du wirfst. Die Kugel, die du rollst. Der Kegel, den du umstößt. Die Schaukel, auf der du in die Höhe schwingst. Die Rakete, die du in die Himmel aller neuen Jahre schießt.

Ich bin der Filter, durch den dein Kaffee läuft. Der Teebeutel, den du aufgießt. Das Mittel, das dein Kaugummi süßt. Der Korb, mit dem du einkaufst. Die Verpackung, die du entsorgst. Der Löffel, mit dem du in deinen Speisen rührst. Die Kohle, die dein Fleisch grillt. Das Feuer, in das du blickst, wenn am Meer die Sommersonne untergeht.

Ich bin das Streichholz, das du rasch entzündest. Die Flammen, die in deinem Kamin lodern. Der Schmuck, der dich passend ziert. Der Schläger, mit dem du ausholst. Die Schallplatte, die du auflegst. Die Brille, durch die du aufmerksam blickst. Die Figur, die du schnitzt. Die Fläche, die du fräst. Die Späne, die du sägst. Das Brett, das du bohrst.

Ich bin die Lautsprecher, aus denen deine liebsten Töne klingen. Das Instrument, mit dem du beim Musizieren verschmilzt. Der Steg, von dem du in den See springst. Das Boot, mit dem du fährst. Der Ständer, der deine Kerze hält. Der Stift, mit dem du zeichnest. Der Pinsel, mit dem du malst. Die Würfel, die das Leben immer anders für dich fallen lässt.

Ich bin das Schild, das dich leitet. Die Krücke, die dich stützt. Der Stock, an dem du gehst. Der Splitter, der deinen Finger schmerzen lässt. Der Pfahl, den du in den Boden rammst. Der Pfeil, den du in den Bogen spannst. Das Gewehr, das nur durch deine Hand über Leben und Tod entscheiden kann.

Ich bin der Schlitten, auf dem du durch den Schnee gerutscht bist. Das Spielzeug, das dich durch deine Kindheit begleitet hat. Die Kiste, in der du all deine Erinnerungen aufbewahrst. Die Wiege, die deine Nachkommen behütet. Das Totenbett, auf dem auch die letzten Blätter deiner alten Äste fallen.

Was bin ich für dich?

 

Julian Hager 


Konfirmanden: Brief eines Baumes

 

Lieber Mensch!

 

Weißt du eigentlich, wie sehr du mich brauchst?

Ich schenke dir die Luft, jede Stunde mehr als 2 Kilo lebensnotwendigen Sauerstoff.

Ich sorge auch dafür, dass die Luft rein bleibt, denn ich schlucke stündlich mehr als 2 Kilo Kohlendioxid.

Und filtere jedes Jahr eine Tonne Staub. Ich bin deine grüne Lunge! Hast du das gewusst?

Weißt du auch, dass ich mit meinen Wurzeln das Wasser speichere und mit 1 Million Blättern und 20.000 Früchten für immer neuen Humus sorge.

Außerdem haben viele Vögel und Eichhörnchen, Insekten und Pilze, Käfer und Würmer bei mir eine Wohnung.

Sicher hast du das alles vergessen. Früher, als du ein Kind warst, liebtest du mich.

Du bist in meinen Ästen herumgeklettert, hast dich hinter meinem Stamm versteckt, hast dich beim Regen bei mir untergestellt und dich in der Hitze in meinem Schatten ausgeruht. Als Kind hattest du mich gern, doch jetzt sorgst du mit deinen Abgasen dafür, dass ich keine Luft mehr bekomme. Du kippst Müll in den Wald und lässt mich im Dreck ersticken.

Für immer mehr Straßen hackst du ganze Wälder ab. Warum machst du das?

Wehre dich in Zukunft, wenn in deiner Stadt wieder Bäume sterben sollen! 

Hilf mir, damit auch ich dir helfen kann! 

 

Gelesen von Konfirmanden am Tag der Schöpfung bei einem ökumenischen Gottesdienst


Davet (Einladung)

 

Leben einzeln und frei

Wie ein Baum und dabei

Brüderlich wie ein Wald,

diese Sehnsucht ist unser.

 

Nazim Hikmet

 


Mein Kletterbaum

 

Als ich ein Kind war hatten meine Eltern einen großen Garten gepachtet, der zwischen dem Weg Erlenbruch und der Autobahn A3 lag. Wenn ich an diesen Ort denke, rieche ich das Gras, die Erde, aber auch die Autobahn.

Ich höre die Vögel, aber auch die Autos. Die Möhren die ich aus dieser dunklen Gartenerde zog und unter dem Wasser des handgepumpten Wassers abwusch, schmeckten besser als jede Möhre die ich je danach aß.

Auf dem Grundstück standen einige alte Bäume, höchstwahrscheinlich waren es Erlen.

Zwei davon standen dicht beieinander und waren etwas gebogen. Diese Biegung lud zum Klettern ein. Wenn ich in diesen Baum geklettert war, war alles möglich – ich war Indianer, war Zauberer - niemand konnte mir etwas anhaben. Ich fühlte mich erhaben, geschützt und in meiner eigenen Welt zuhause. Lange danach noch wünschte ich mir ein Baumhaus zum Wohnen. 

 

Heike Marianne Liwa

 

Texte aus der Mixed-Media-Installation von Mila Langbehn  “... durch die Jahre immerzu - Bäume der Heimat”, die 2015 im Rahmen der 36. Duisburger Akzente stattfand.


Als ich noch in der Schule war

 

Er war nicht sehr groß. Er hatte auch keinen Namen. Und sein Zuhause war nur ein Trümmergrundstück am Hafen. Aber er gehörte mir, der Baum. 

Im Winter passte er zu der Ruine. Dann war auch er nur Gerippe. Und beide waren Kinder ihrer entbehrungsreichen Zeit. 

Aber im Frühling wurde mein Baum zum frischgrünen Ort des Vergnügens. Dann lud er mich ein, ihn zu besuchen und hielt mir seinen Aststumpf hin. Nur zwei Mal abgestoßen und hochgezogen, dann war ich von seinem dichten Laub umhüllt und nicht mehr von ihm zu trennen. Auf einer Astgabel mitten im Leben. Umgeben von Vögeln, Käfern, rauschenden Blättern oder prasselndem Regen. Und Menschen, die hin und wieder vorübergingen. Die sich irritiert umblickten, wenn eine aus meinem  Blasrohr verschossene Holunderbeere ihr Kopfhaar traf. Oder die im Gespräch miteinander auch mir ungewollt von ihren Liebschaften erzählten. 

Baum und Kindheit gehörten zusammen. 

Das Ende kam plötzlich. Ich habe ihn nicht leiden gesehen. Sie hatten ihn einfach abgeholt.

Zusammen mit den Trümmern. Als ich noch in der Schule war.

 

Wolfgang Neiß

Texte aus der Mixed-Media-Installation von Mila Langbehn  “... durch die Jahre immerzu - Bäume der Heimat”, die 2015 im Rahmen der 36. Duisburger Akzente stattfand.