Die Birke
Wilhelm Busch; Humoristischer Dichter und Zeichner
Es wächst wohl auf der Heide
Und in des Waldes Raum
Ein Baum zu Nutz und Freude,
Genannt der Birkenbaum.
Die Schuh daraus geschnitzet,
Sind freundlich von Gestalt.
Wohl dem der sie besitzet,
Ihm wird der Fuß nicht kalt.
Es ist die weiße Rinde
Zu Tabaksdosen gut,
Als teures Angebinde
Für den der Schnupfen tut.
Man zapfet aus der Birke
Sehr angenehmen Wein,
Man reibt sich, daß es wirke,
Die Glatze damit ein.
Dem Birkenreiserbesen
Gebühret Preis und Ehr;
Das stärkste Kehrichtwesen,
Das treibt er vor sich her.
Von Birken eine Rute,
Gebraucht am rechten Ort,
Befördert oft das Gute
Mehr als das beste Wort.
Und kommt das Fest der Pfingsten,
Dann schmückt mir fein das Haus,
Ihr, meine liebsten Jüngsten,
Mit Birkenzweigen aus.
Birkenlegendchen
Borries Freiherr von Münchhausen
Deutscher Schriftsteller und Lyriker
Birke, du schwankende ,schlanke,
wiegend am blassgrünen Hag,
lieblicher Gottesgedanke
vom dritten Schöpfungstag.
Gott stand und formte der Pflanzen
endlos wuchernd Geschlecht,
schuf die Eschen zu Lanzen,
Weiden zum Schildegeflecht.
Gott schuf die Nessel zum Leide,
Alraunenwurzeln zum Scherz,
Gott schuf die Rebe zur Freude,
Gott schuf die Distel zum Schmerz.
Mitten in Arbeit und Plage
hat er ganz leise gelacht,
als an den sechsten der Tage,
als er an Eva gedacht.
Sinnend in göttlichen Träumen
gab seine Schöpfergewalt
von den mannhaften Bäumen
einem die Mädchengestalt.
Göttliche Hände im Spiele
lockten ihr blonden das Haar,
daß ihre Haut ihm gefiele,
seiden und schimmernd sie war.
Biegt sie und schmiegt sie im Winde
fröhlich der Zweigelein Schwarm,
wiegt sie, als liegt ihr ein Kinde
frühlingsglückselig im Arm.
Birke, du mädchenhaft schlanke,
schwankend am grünenden Hag,
lieblicher Gottesgedanke
vom dritten Schöpfungstag!
Birken
Oskar Loerke
Deutscher Dichter des Expressionismus
Es decken Auge, Ringe, Striche
Wie Götzendienst indianerhaft
Mit Grau und Schwarz den Birkenschaft
Als ob er einer Seele gliche.
In der ein alter Weihekult
Noch nicht verdarbt sei vor dem neuen.
Das Krongrün flüstert über scheuen
Und blinden Zeichen der Geduld.
Das Laub summt für die stille Schar.
Was wahr gewesen ist bleibt wahr.
Die Erde leitet das Geschehen
Mit Augen die ihr Licht nicht sehen.
Der betende Baum
Paul Wertheimer
Von Stürmen hart getroffen
Der Baum im Frühling steht
Und hält die Arme offen,
Weit offen im Gebet.
Und wie er betet, quellen
Die zarten Bitten ans Licht
Sein Sehnen in rosig hellen
Blüten dem Stamm entbricht.
Nun klagt nicht mehr eintönig
Ein Mönch, von Grau beschwert -
Zum Himmel greift ein König
Mit blütenumwundenem Schwert.
Trost
Ina Seidel
Unsterblich duften die Linden -
Was bangst Du nur?
Du wirst vergeh´n, und Deiner Füße Spur
Wird bald kein Auge mehr im Staube finden.
Doch blau und leuchtend wird der Sommer steh´n
Und wird mit einem süßen Atemwehen
Gelind die arme Menschenbrust entbinden.
Wo kommst Du her? Wie lang bist Du noch hier?
Was liegt an Dir?
Unsterblich duften die Linden.
Entwurzelt
Wolfgang Bächler
Plötzlich sind die Bäume entwurzelt,
heben sich über die Erde,
fliegen über das Wasser.
Die ersten durchstoßen die Wolken
mit ihren Kronen,
reißen den Himmel auf.
Die letzten streifen noch über die Dächer
mit schweren dunklen Wurzeln,
aus denen die Erde bröckelt,
aus denen die Nacht auf uns fällt.
Jahresringe
Rainer Maria Rilke
Ich lebe mein Leben in wachsenden Ringen,
die sich über die Dinge zieh´n.
Ich werde den letzten vielleicht nicht vollbringen,
aber versuchen will ich ihn.
Bäume
Herrmann Hesse
Wenn ein Baum umgesägt worden ist und seine nackte Todeswunde der Sonne zeigt,
dann kann man auf der lichten Scheibe seines Stumpfes und Grabmals seine ganze Geschichte lesen:
in den Jahresringen und Verwachsungen steht aller Kampf, alles Leid, alle Krankheit,
alles Glück und Gedeihen treu geschrieben, schmale Jahre und üppige Jahre
überstandene Angriffe, überdauerte Stürme.